15 Jahre Twitter: Danke für die tolle Zeit

Sommer 2008. George W. Bush ist US-Präsident. Das iPhone kann jetzt auch UMTS, und in deutschen Kinos startet „Mamma Mia! Der Film“ durch. Der „Kuschel Song“ von Schnuffel läuft im Radio rauf und runter. Gruscheln ist groß in Mode. Und ich sitze in meiner Studierenden-WG in Göttingen und melde mich bei Twitter an.

15 Jahre ist das jetzt her. Daran hat mich Twitter erst vor wenigen Tagen erinnert. Ich solle doch bitte mein Jubiläum feiern. Nur: Zu feiern gibt es leider wenig. 

Seit Elon Musk die Plattform im vergangenen Jahr gekauft hat, können Nutzer:innen weltweit dem Twitter-Vogel beim Sterben zuschauen: Erst muss die Hälfte der Belegschaft gehen, dann häufen sich die technischen Probleme. Ehemals gesperrte Accounts werden reaktiviert, und Kritik am Vorgehen des neuen Chefs hart bestraft. Musk hetzt seine Anhänger auf alle, die mit dem neuen Kurs nicht einverstanden sind. Und er belohnt die, die sich mit ihm und seinen Ansichten identifizieren – indem er sie zur Kasse bittet.

15 Jahre lang ein täglicher Begleiter

Es ist schlimm, wie sich Twitter in den vergangenen Wochen und Monaten entwickelt hat. Aber vor allem auch sehr traurig. Schließlich war das Netzwerk für mich viele Jahre lang ein wichtiger Begleiter. 

Als ich vor 15 Jahren die ersten Schritte bei Twitter unternahm, waren deutschsprachige Nutzer:innen auf der Plattform noch rar gesät. Ok. @Nico war schon da. Und @heiko. Doch sonst war Englisch die vorherrschende Sprache. Das sollte sich in den kommenden Jahren ändern.

Twitter wuchs unaufhaltsam. Bereits 2012 wurde die Marke von 200 Millionen Nutzer:innen weltweit geknackt. Immer mehr Menschen auch in Deutschland meldeten sich an. Kleine und große Accounts, laute und leise. Obwohl Twitter immer sehr männlich war, war es doch gleichzeitig auch sehr divers. Hier hatte jede:r eine Stimme. Egal ob Barack Obama oder Lisa Müller.

Mehr als eine Informationsquelle

Für mich war Twitter am Anfang vor allem eine wichtige Informationsquelle. Hier bekam ich mit, was in den USA und anderen Ländern gerade wichtig war. Und konnte es so für meine Arbeit als Journalist nutzen. Zu Beginn konsumierte ich primär. Ich las mit, beteiligte mich aber nur wenig an Diskussionen und hielt mich mit eigenen Tweets zurück. Das änderte sich mit meinem Wechsel zum Wall Street Journal (WSJ) nach Frankfurt. 

Twitter wurde für mich von einem Tag auf den anderen zu einem wichtigen Kanal, um meine Artikel unter die Leute zu bringen. Denn neben anderen Journalist:innen und der Politik hatte vor allem die deutsche und internationale Start-up-Szene die Plattform für sich entdeckt. Ich fand meine Nische – die Follower:innen-Zahlen stiegen und Kontaktdaten für Interviews wurden nicht selten über Twitter ausgetauscht.

Spätestens 2014 war die Plattform nicht länger nur Informationsquelle – sie wurde auch für die eigene Positionierung immer wichtiger. Und damit auch für meinen Job.

Twitter als Stellenbörse

Als das WSJ 2015 seine Türen in Frankfurt schloss, fand ich schnell Anfragen aus anderen Medienhäusern in meinen Twitter-DMs. Auch der erste Kontakt zu meinem neuen Chef kam über die Plattform zustande. Einmal in Berlin angekommen, wurde Twitter dann schnell zu einem unverzichtbaren Werkzeug in meinen Redakteursalltag. Egal ob Reportage oder Livestream – egal ob Eilmeldung oder Recherche: In den folgenden Jahren zeigte sich das ganze Potenzial des ehemaligen Kurznachrichtendienstes.

Doch auch jenseits der journalistischen Arbeit wurde Twitter für mich immer wichtiger:

Wer ist alles bei Veranstaltung X? Twitter weiß es besser als Xing, LinkedIn und Swarm.

Warum funktioniert das Internet in meiner Straße nicht? Twitter kennt die Antwort.

Wer wurde positiv auf COVID getestet? Twitter ist schneller als die Corona-Warn-App.

Von all dem ist heute kaum noch etwas übrig. Twitter gleicht immer mehr einer alten Karstadt-Filiale, bei der der letzte Eigentümer zuerst das Personal reduziert und anschließend das Sortiment auf Billigware umgestellt hat. Was bleibt sind schlechter Service und miese Produkte. Wer dennoch das Geschäft betreten will, muss neuerdings Eintritt zahlen. 

Klingt verrückt? Ist es auch. Und ziemlich, ziemlich traurig.