Die Dolomiten
Fotos & Text: Jörgen Camrath
Mit der Landschaft verschmelzen: Das war der Titel einer dreitätigen Wandertour, die mich Ende September 2023 in die Dolomiten und an meine Grenzen bringen sollte. Denn was auf Bildern oft einfach aussieht, entpuppt sich manchmal als echte Herausforderung.
Es gibt nur wenige Orte, an denen ich mich so wohl fühle wie am Meer. Die Seiser Alm in den Südtiroler Dolomiten ist einer davon. Mit ihren grünen Wiesen ist sie ein Paradies für Tiere und Pflanzen. Wer Ruhe sucht, findet sie hier. Gleichzeitig bieten die umliegenden Bergmassive ein spektakuläres Kontrastprogramm. So kommen auch Wandernde auf ihre Kosten.
Tag 1
Ende September 2023: Gemeinsam mit einem halben Dutzend Mitstreiter:innen nehme ich an einer dreitägigen Fotoexpedition durch die Südtiroler und venetianische Bergwelt teil. Nach der Ankunft am Montag geht es direkt am Dienstag los. Ein Bus-Shuttle bringt uns vom Schgaguler Hotel in Kastelruth zum Passo Pordoi.
Hier wartet gleich zu Beginn der Wanderung die erste Steigung auf uns – die Salita alla Forcella Pordoi. Nach 90 Minuten und rund 600 Höhenmetern auf steinigen Pfaden erreichen wir schließlich das Rifugio Forcella Pordoi mit einer kleinen Toilette und einem großartigen Ausblick, der uns für alle Anstrengungen belohnt.
Über die Mondlandschaft des Sellastocks geht es entlang von Sass de Forcia di Mezzo, Punta de Joel, Piz Boè und Cresta Strenta weiter zum Rifugio Boè. Immer wieder muss ich zwischendurch stehenbleiben, um diese so ganz andersartige Landschaft in all ihren Grautönen und ihrem Minimalismus wirklich realisieren zu können.
Nach einer kurzen Mittagspause im Rifugio Boè steigen wir durch das Val Lasties zwischen Torre di Roces und Col Turant rund 1000 Meter ab zum Parcheggio Cascate Schiavaneis. Hier endet nach insgesamt gut sieben Stunden und 11,5 Kilometern der erste Wandertag, bevor es mit dem Bus-Shuttle zurück ins Hotel geht.
Tag 2
Der zweite Wandertag startet erneut mit einer Busfahrt. Am Parcheggio malga Frommer angekommen, besteigen wir die Kabinenbahn und fahren zum Rifugio Fronza Alle Coronelle. Hier lassen wir den Einstieg in den Santner Klettersteig links liegen und folgen stattdessen dem Wanderweg in Richtung Passo Delle Coronelle.
Der Aufstieg ist vor allem zu Beginn recht anspruchsvoll und im Felsen verankerte Metallseile spenden Halt. Knapp 60 Minuten benötigen wir für die ersten 270 Höhenmeter. Am Passo angekommen, bleibt jedoch kaum Platz und Zeit, um sich lange auszuruhen. Es folgt der Abstieg entlang der Rosengartenspitze zum Rifugio Vajolet, das wir nach weiteren zwei Stunden Gehzeit erreichen.
Hier kehren wir ein und stärken uns für den Höhepunkt des Tages – den Aufstieg zur Santnerpass Hütte. Und der hat es in sich. Gleich zu Beginn warnt ein Schild, dass dieser Wanderweg nur für Profis geeignet ist. Auch ich komme an meine Grenzen.
Zwar helfen erneut Metallseile im Stein beim Vorwärtskommen. Doch nicht alle kritischen Passagen sind gut gesichert. Und scharfkantige Felsen erschweren das Festhalten zusätzlich.
Nach gut einer Stunde liegen die nächsten 400 Höhenmeter und damit der schwierigste Teil des Aufstiegs hinter uns. Wir haben das Refugio Re Alberto erreicht und werden mit einem grandiosen Ausblick auf Piazturm und König Laurin Wand belohnt. Da sich mittlerweile ein paar Wolken an den bislang wolkenlosen Himmel verirrt haben, nehmen wir die letzten 100 Höhenmeter in Angriff und erreichen schließlich nach knapp sechs Kilometern und rund sechs Stunden Wanderzeit unser Tagesziel – die Santnerpass Hütte.
Die Santnerpass Hütte hat in ihrer jetzigen Form erst im Juni 2023 eröffnet. Nach einem umfangreichen Um- und Ausbau im Jahr 2022 erstrahlt die ehemals kleine Hütte mittlerweile in einem neuen Design. Auch wenn die moderne Architektur des Hauses nicht bei allen auf Gegenliebe stößt, kommt sie bei Wandernden gut an. Das zeigt unter anderem die lange Liste an Übernachtungsanfragen.
Nachdem wir unsere Zimmer bezogen haben, wartet bereits ein hervorragendes Abendessen auf uns. Das Vier-Gänge-Menü ist genau wie das Frühstück im Preis inbegriffen. Als irgendwann die Sonne untergegangen ist, treffen wir uns noch einmal draußen vor der Hütte. Mit Stirnlampen ausgerüstet laufen wir hinab zum Rifugio Re Alberto und warten darauf, dass der Mond hinter den Bergen aufgeht. Dann endet auch unser zweiter Wandertag und wir fallen erschöpft in unsere Betten.
Tag 3
Der dritte Wandertag beginnt bereits vor Sonnenaufgang. Die Nacht auf 2.734 Metern war unruhig. Umso schöner ist der Blick, der sich uns beim Aufstehen bietet. Wo am Vorabend noch Wolken die Sicht eingeschränkt hatten, können wir nun in der Ferne die Berge des Nationalparks Stilfser Joch erkennen. Erneut ist der Himmel blau und klar.
Nach 500 Metern Abstieg lassen wir das Refugio Vajolet an diesem Morgen rechts liegen und machen uns auf den Weg in Richtung Rifugio Passo Principe. Die Hütte wird aktuell renoviert, weshalb wir nur kurz verweilen und weiter aufsteigen zum Passo di Antermoia. Auch diesmal haben es die letzten der rund 450 Höhenmeter in sich, zumal der Untergrund größtenteils aus losem Geröll besteht.
Es folgt der Abstieg ins Vallone d’Antermoia. Hier erwartet uns erneut eine mondartige Felsenlandschaft. Schließlich erreichen wir den Lago d’Antermoia, wo einige aus der Gruppe bei knapp zehn Grad ein kurzes und kühles Bad nehmen. Wenig später kehren wir ins Rifugio Antermoia ein, bevor es an den letzten Teil unserer Wanderung geht.
Sieben Kilometer trennen uns jetzt noch von der Ziellinie – dazu ein anspruchsvoller Abstieg. Über den Passo di Dona und den Passo delle Ciaregole machen wir uns auf den Weg hinab ins Tal, bevor wir über den Passo Duron schließlich auf der Seiser Alm ankommen.
Hier endet nach insgesamt 31 Kilometern unsere Exkursion in die Dolomiten. In den vergangenen drei Tagen sind wir 2.200 Meter auf- und 2.900 Meter abgestiegen. Wir haben eindrucksvolle Landschaften durchwandert und viel über die Dolomiten gelernt. Auch wenn es nicht immer ganz einfach war, bin ich froh, mich dieser Herausforderung gestellt zu haben.
Vielen Dank, Martin, für diese tolle Erfahrung.